ERFURT. In der Tiefgarage des Landtages steht das chice mobile AfD-Bürgerbüro neben denen von SPD und CDU. Anders als im richtigen Leben herrscht hier Eintracht. Noch verkauft VW an jedermann. Manch einer würde sich nicht wundern, wenn es anders käme. Doch ganz so deppen sind die Manager von VW nun aber auch nicht. Der Kalender zeigt den 29. Mai. Es ist Dienstag. Mit der Besucherkarte kommen wir in den Landtag. Vorlage des Personalausweises ist völlig normal. Die Daten werden eingetragen, der Besucherausweis gelangt mit Hilfe eines eingelassenen Schubes zum Empfänger. Alles muß seine Ordnung haben. Wo kämen wir auch hin, wenn hier jedermann ohne sich auszuweisen und eintragen zu lassen hier ein- und ausgehen könnten? Wir sind in Deutschland. Selbst in die Tiefgarage gelangt man nur per Funk. Ansonsten würde sich keine Tür öffnen. Ja, der Landtag ist schon irgendwie eine kleine Festung. Nie würde es dank Security und Personal möglich sein, daß unerwünschte Personen in den Landtag einfallen könnten. Niemals! Nur an der Grenze geht das so – mindestens seit 2015. Eine Paralelle, die sich mir aufdrängt und mit einem Schlag den ganzen Widersinn des Merkelschen „Wir schaffen das“ aufzeigt.
Dieser Dienstag ist ein heißer Tag, der Wetterbericht läßt daran keinen Zweifel. Temperaturen nahe der 30 Grad, dunkle Wolken, Regen und Gewitter inklusive. Das kann was werden! Um mit den Bürgern ins Gespräch über den Widersinn in Deutschland zu kommen, gibt es seit Monaten diese Touren. Landtagsabgeordnete im Gespräch mit den Bürgern. Zeitungen, Flyer und Wasser sind an Bord. Es geht an diesem Tag nach Waltershausen und nach Tabarz, Bad Tabarz. Landtagsabgeordneter Olaf Kießling fährt selbst, vielleicht nicht gar zu schnell, hofft seine Mitarbeiterin Franca Fabricius. Ich als sein Arnstädter Büroleiter darf vorn auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Gegen 10 Uhr steuert Olaf unser AfD-blaues Bürgerbüro in Richtung Gotha, Bundesautobahn 4. Im Grunde ist Waltershausen nur ein Katzensprung. Das thüringische Waltershausen ist ein kleines Städtchen, in dem ich seit Jahren nicht mehr war. Einige vage Erinnerungen aus alten Zeiten habe ich noch. Besonders von Multicar, der schon zu DDR-Zeiten ein Exportschlager war. Der Betrieb prägte nach der Wende die Schlagzeilen, er überlebte als einer der wenigen großen Betriebe. 1958 wurde im VEB Fahrzeugwerk Waltershausen der erste Multicar gebaut. Eigentlich ein schönes Jubiläum. Das 60-jährige. Einen zeitnahen Besuch des Unternehmens könnte man durchaus mal in’s Auge fassen. Doch an diesem 29. Mai bleibt dafür keine Zeit. Durch das bekannte Klaustor der alten Stadtbefestigung steuert Olaf das mobile AfD-Büro auf den Marktplatz, direkt vor dem alten Rathaus aus Fachwerk von anno 1441, nach 1990 wunderschön saniert. Von dort aus schaut Bürgermeister Michael Brychcy (CDU), in Waltershausen ziemlich beliebt, von oben auf den Markt und hinüber zum Brunnen mit der „Muschelminna“. Ein wenig Verträumtheit strahlt das bauliche Ensemble schon aus. Seit November 1989 ist Michael B. Bürgermeister der Stadt Waltershausen und seit 2006 Präsident des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen. Ein wenig erinnert mich das an Michael Seeber von Ilmenau. Doch von einem erwarteten quirligen Treiben auf dem Marktplatz ist nicht viel zu entdecken. Der Marktmeister hat uns einen Platz zugewiesen, am Rand und dennoch mittendrin. Was würde uns erwarten? Da geschieht es: Hunderte von Bürgern umdrängen uns, Zeitungen und Flyer werden uns sozusagen aus den Händen gerissen. Fragen über Fragen schallen uns entgegen. Die Markthändler staunen. Wir allerdings auch.
Aufwachen! Ausgeträumt! Es bleibt alles ruhig. Eiligen Schrittes gehen einige Bürger an uns vorbei. Uns geht es nicht anders als den bedauernswerten Händlern. Es gibt nichts zu bereden? Keine Fragen? Das wollen wir doch mal sehen.
Ich nehme mir einen Packen Zeitungen, Kugelschreiber, Flyer und steuere auf eine Bank zu, besetzt mit zwei Rentnern. „Darf ich?“ „Natürlich. Sie sind wohl einer von denen?“ „Na klar, uns interessiert einfach, was Sie so bewegt. Was Sie von uns halten, was sollen wir anders machen? Solche Sachen eben.“ Die beiden schauen mich an. „Nun ja, soviel macht ihr ja nicht falsch. Ist eben schade, daß ihr noch nicht die Mehrheit habt. Wir sind weit über die 70. Eigentlich geht’s uns gut, Wir kommen schon einigermaßen hin. Wir sind ja auch bescheiden. Aber was wird mit unseren Enkeln?“ Und schon bin ich mittendrin im Gespräch. Berlin, Thüringen, Rente, Zuwanderung, Zukunft. Was wollen wir?
Ich habe schon des öfteren gestaunt, wie sich gerade ältere Leute auf dem Laufenden halten. Ablehnung? Von wegen. Aber aufstehen und mal ein paar Schritte zu gehen? Da klemmt die Säge. Also gehen wir auf sie zu. Miteinander reden, das ist es. Als die Uhr die 13. Stunde anzeigt, habe ich unter anderem mit zwei Niederländern, mit einer Kurdin, einem Flüchtling aus Eritrea und mit einem 93-Jährigen aus Waltershausen gesprochen. Mein ältester Gesprächspartner. Und natürlich auch mit jenen Pfiffigen, die plötzlich auftauchten und die Frage stellten: „Haben Sie auch Kulis“. „Natürlich. Wir haben auch was für die kleinen Freuden“. Der Ratskeller neben dem altehrwürdigen Rathaus ist allerdings geschlossen. Nur nachmittags geöffnet. Zum Glück steht in der Brauhausgasse ein alter Barkas aus Sachsen, wie auf der Plane zu lesen ist, und siehe da – hier gibt’s Bratwurst und sogar Bier. Daneben laden ein paar Biergarnituren unter schattigen Bäumchen zum Verweilen ein. „Der braut sogar selbst Bier, schmeckt, probieren Sie’s“, sagt einer der schon probiert hat und der schon am Bürgerbüro mit uns sprach. Wieso nicht? Auch mit ihm komme ich schnell ins Gespräch. Tatsächlich braut er selber – und er ist auch der Wirt des Ratskellers. Den Barkas hat Joachim Köllner erst einige Tage, mit Sachsen hat der B 1000 nichts mehr zu tun, er wird erst noch aufgefrischt. Bier und Bratwurst schmecken, auch Olaf bestätigt dies. Ganz in der Nachbarschaft befindet sich übrigens das Büro des SPD-Abgeordneten Dr. Werner Pidde. Mit ihm arbeitet Olaf im Haushaltsausschuss. Aha. Da schauen wir doch mal hinein. Es ist Jahre her, seit ich wieder ein SPD-Büro betrete. Es gibt Small Talk. Nichts tiefgründiges, aber wir reden miteinander. Wieso auch nicht? Natürlich sitzen die bösartigen Bemerkungen der Berliner SPD Granden und aus dem Landtag gegen uns im Gedächtnis. SPD ist eben SPD. Die Angst sitzt ihnen im Nacken und die Zeiten von Willy Brandt und Helmut Schmidt, ganz zuschweigen vom alten Wehner, sind lange, lange schon vorbei. Eine alte Partei scheint ausgedient zu haben. Ohne Visionen für Deutschland. Ohne Vision für unser Land. Wir müssen jetzt dran. Wir sind angetreten, deren Fehler zu beheben. Und manchmal denke ich, hoffentlich verheben wir uns nicht! Bevor wir gen Tabarz starten, gibt es doch noch einige, die auf uns zukommen. Ja, wir kennen die Probleme, die Sorgen, den Ärger. Ja, wir wollen ein anderes Deutschland. Kein linkes, sondern ein vernünftiges, gerechtes, jedenfalls viel gerechter, freier, fröhlicher. Wir haben hier gar nichts zu verantworten. Weder Rentenarmut, Kinderarmut, miserable Bildung, kaputte Infrastrukturen, leere Dörfer, tausende Wegzüge in den Westen, Billionen Schulden…, Krawalle, Terror, überstrapazierte Polizisten – NEIN, wir haben dies nicht zu verantworten. Und dennoch sind wir bereit, diesen Wahnsinnsberg von Arbeit auf uns zu nehmen. Und dafür werden wir noch beschimpft, gehasst, verleumdet, angegriffen… Ein Spinner, jung und bemalt, typisch Antifa, radelt vorbei: „Ihr Nazischweine“, ruft er – relativ leise, dann ist er schon verschwunden. Mein Gott, wo leben wir eigentlich?
Diese Gedanken lassen einen mitunter nicht mehr los. Die Gründe dieses Hasses müssen viel, viel tiefer liegen. Haben die Altparteien Angst, daß ihre Lügengebäude und ihr Mandate baden gehen? Ich denke Ja, so ist es. In Tabarz angekommen, gehen auch wir irgendwie baden. Es wird dunkel, es blitz und donnert. Und es regnet. Nicht wie aus Eimern, aber ohne Schirm ist auch blöd. Der uns zugewiesene Platz wird kaum frequentiert, er liegt ganz in der Nähe eines Straßenkreisels am Spindlerplatz. Wir flüchten uns in ein Cafe. Kaffee, Kuchen, Eis – wir behalten die Ruhe. Der Regen läßt ein wenig nach. Zwei Schirme sollen uns beschirmen. Olaf und Franca machen sich auf. Zeitungen und Infos wandern in die Briefkästen der Umgebung. Ich bleibe beim VW-Bürgerbüro. Und tatsächlich werde ich noch mutmachend angesprochen. Ein Erfurter, der im wirklich schönen Tabarz mit Freunden wandert. Er kennt sich aus, war bei allen Demos in Erfurt dabei, sagt er. Er wünscht uns Glück. Etwas mehr Glück hätte auch Franca haben können. Blasen gelaufen. Die Schuhe eben, kleine schwarze Sandalen. Sie läuft barfuß. Muss so laufen. Doch dann ist Schicht im Schacht. Es ist deutlich kühler geworden. Wir starten nach Hause. Richtung Ilmenau, durch das Leinatal. Im Ortsteil Altenbergen gibt es die Erzdiozöse von Myreon in Deutschland. Olaf hatte einst Kontakte zu diesem Kloster, welches den Namen St. Gabriel trägt. Wir legen einen Stopp ein. Kontakte auffrischen. Wir werden ebenso herzlich begrüßt wie unser Landtagsabgeordneter Olaf Kießling. Wir schauen uns um und es kommt sogar zu einem tiefer liegenden Gespräch mit Pater Johannes. Längst hat das Kloster von sich reden gemacht. Hier kann man übernachten, zu sich finden. Auf der eigenen Internetseite findet man beeindruckende und nachdenklich machende Angebote. Die römisch/katholische Kirche als auch die evangelische Kirche könnte hier noch einiges lernen. Rückkehr zu den Wurzeln. Weg von der Anbiederung an die Politik vom Kaiser über Faschismus, DDR und im geeinten Deutschland. Die Mitglieder laufen ihr davon. Auch darüber sprechen wir. Über Werte und Fundamente, die hierzulande bröckeln. Auch daran trägt die Kirche Mitschuld. Doch wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Nein, das wollen wir nicht. Aber wir werden uns zu wehren wissen. Mit Argumenten, nicht mit Steinen.
Kurzes Fazit einer Tagestour, die für mich gegen 18.30 Uhr endet. Fakt ist, die Bürger wollen angesprochen werden. Die AfD vor Ort ist ein Anfang. Die Bürgerbewegung AfD muß sich aber auch auf die Bewegung der Bürger verlassen können. Daran muß noch tüchtig gearbeitet werden.
Büroleiter Achim König